Die alte Voelkner / Sauer – Orgel in der Taborkirche Berlin-Wilhelmshagen
(2019 demontiert)
Die alte Orgel wurde erbaut durch
Orgelbauanstalt Paul Voelkner / Bromberg 1911
1958 neobarock umdisponiert
von Fa. Sauer, Frankfurt/Oder
2019 demontiert
pneumatische Kegellade,
Spieltisch beim Umbau 1958 freigestellt
Als die Taborkirche 1911 gebaut wurde, sollte zur Einweihung auch eine Orgel nicht fehlen. Trotz unklarer Finanzierung wurde die in Bromberg ansässige Firma Paul Voelkner mit dem Bau einer Orgel beauftragt, die dieses Vorhaben auch sehr kurzfristig in die Tat umsetzte. Das war möglich, weil industrielle Fertigungstechniken Anfang des 20. Jahrhunderts längst auch im Orgelbau Einzug gehalten hatten und so Instrumente nicht mehr individuell für eine bestimmte Kirche, sondern serienmäßig nach bestimmten Typ-Mustern gebaut wurden. So erhielt die Taborkirche eine Orgel mit 18 Registern, die sich auf 2 Manuale und Pedal verteilen. Die Registerzusammenstellung der Orgel war in romantischer Tradition sehr grundtönig, d. h. es wurden als Grundlage des Orgelklanges tiefliegende Register in großer dynamischer Bandbreite bevorzugt. Die Register als Einzelstimmen mussten in das Konzept einer kontinuierlichen Lautstärkeveränderung von Pianissimo bis Fortissimo passen. Die Voelkner-Orgel der Taborkirche war klanglich und technisch auf der Höhe ihrer Zeit, ein durchaus qualitätvolles Instrument. Davon kann man sich in der katholischen Kirche St. Laurentius in Wriezen überzeugen, wo die Fa. Voelkner 1913 ein fast baugleiches Instrument aufstellte, das weitgehend original erhalten ist.
[Wriezen Kath. Kirche St. Laurentius Voelkner-Orgel]
Entsprechend dem damaligen Stand der Technik wurde die Traktur pneumatisch angelegt, d.h. die Ansteuerung der Pfeifen über den Tastendruck wurde durch Luftkompression in Bleiröhren bewirkt und die Tonventile über Membranen in Bewegung gesetzt. Im Gegensatz zur vorher üblichen mechanischen Traktur hatte das für die Orgelbaufirmen den Vorteil, dass Trakturwege nicht mehr dem jeweiligen Bauort entsprechend geplant und konstruiert werden mussten, sondern serienmäßig in der Fabrik vorgefertigt werden konnten. Für die Organisten sollte sich durch den Ersatz der Mechanik durch Pneumatik außerdem die Spielbarkeit erleichtern, allerdings um den Preis einer wesentlich verminderten Präzision beim Spiel der Orgel (Luftpumpeneffekt). Ein weiterer Nachteil war, dass die für die Pneumatik verwendeten Membranen aus Papier und Leder waren, Materialien, die eine geringe Alterungsbeständigkeit aufweisen. So waren Störungen an der Orgel in späterer Zeit vorprogrammiert.
In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, verstärkt nach 1945, besann man sich im Orgelbau auf die Traditionen und Werte der Orgeln aus früherer, vornehmlich der Barockzeit. Die Registerzusammenstellung und der Klang dieser Orgeln waren wesentlich obertonreicher und heller als der Klang der Orgeln aus romantischer Tradition. Im Gesamtklang der Orgel wurde der Zeichnungskraft der einzelnen Orgelregister jetzt wieder einen viel höherer Stellenwert eingeräumt. Das Klangideal wurde damit ein grundlegend anderes – heute Neobarock genannt. Viele romantische Orgeln wurden damals abgerissen und durch neobarocke Instrumente ersetzt. Wo es dazu an finanziellen Mitteln fehlte, ging man einen sehr problematischen Weg: Die vorhandenen romantischen Orgeln wurden „barockisiert“, d.h. man beließ bei der Anlage der Windladen und der Spieltechnik alles beim Alten und veränderte nur das Pfeifenwerk teilweise in barocker Manier. So wurde auch die Voelkner-Orgel der Taborkirche 1958 von der Firma Sauer aus Frankfurt/O. auf barocke Klanglichkeit getrimmt. Zusätzlich versetzte man noch den Spieltisch von der Orgel weg an die Emporenbrüstung, um dem Organisten die Leitung des Chores zu erleichtern. Damit verlängerten sich die Wege der Traktur noch einmal beträchtlich; die Präzision des Spiels wurde weiter
vermindert. Seit diesem Umbau gab es immer wieder Meldungen über Störungen an der Orgel. Bis in die 1990er Jahre wurde die Orgel immer wieder mit Flickreparaturen spielfähig gehalten. Aufgrund der geringen Höhe der Orgelempore lagen aber wichtige Teile so flach und unzugänglich über dem Emporenboden, dass zur nachhaltigen Reparatur die ganze Orgel hätte demontiert werden müssen. Dies hätte eine Generalreparatur mit hohen Kosten bedeutet, für die die finanziellen Mittel nicht vorhanden waren. Außerdem war fraglich, ob ein zufriedenstellendes Ergebnis überhaupt erreicht werden konnte, da der Barock-Umbau in den 50er Jahren nach wie vor mit den übrigen Teilen der Orgel nicht zusammenpasste.
Nach langen Überlegungen und Beratungen zur Orgel in der Taborkirche wurde klar: Eine Reparatur der bestehenden Orgel ist keine sinnvolle Investition. Nach jahrelanger Auseinandersetzung mit den zuständigen Behörden über den Denkmalwert der Orgel wurde 2019 die Genehmigung zum Rückbau der Orgel erteilt. Die Demontage der Orgel wurde 2019 durchgeführt. Damit besteht jetzt Baufreiheit, um für eine Orgel in der Taborkirche Wilhelmshagen eine neue Lösung zu finden. © JR
Orgelbau Voelkner
Christian Friedrich Voelkner (1831 – 1905)
Paul Voelkner (1870 – ??)